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Viva el carnaval tarmeño - Es lebe der Karneval Tarmas!

Viva el carnaval tarmeño! Es lebe der tarmenische Karneval – ein für mich unvergessliches Ereignis!

Normalerweise laufe ich hier an Festtagen mit Kamera auf der Suche nach guten Schnappschüssen durch die Straßen Tarmas und bestaune die Buntheit und Freude der Bräuche. Letztes Wochenende lief das aber vollkommen anders ab: Diesmal stand ich selbst im venezianischen Kostüm und mit meiner Geige bewaffnet zwischen Musikern, Tänzern und Sängern und nahm am wunderschönen Karnevalsfest in Tarma teil. Aber wie kommt eine Gringuita dazu, aus voller Überzeugung für ein fremdes Stadtviertel in Peru zu singen? Das frage ich mich bis heute!

 

Vor etwa vier Wochen ging ich mal wieder nichts ahnend mit dem Padre einen Calientito (warmer Schnaps gegen Unwohlsein jeglicher Art) trinken, woraufhin der Padre mich zu einem Hinterhof führte, wo mehrere Personen sangen und sich scheinbar auf Karneval vorbereiteten. Zunächst wurde uns ein Likor aus dem Regenwald angeboten (der Alkohol sollte eine bedeutende Rolle spielen in den nächsten Wochen), dann stellte mich der Padre der ganzen Runde vor. Ich sei Sonja aus Deutschland, spiele gerne Geige und würde gerne beim Faschings-Tamtam mitmachen. Nachdem die Leute schon freundlich einladend nickten und der Padre sich sehr deutlich ausgedrückt hatte, blieb mir keine andere Wahl: Ich musste also auch eine Rede halten mit hochrotem Kopf und dann war die Sache abgemacht. Ich ging die nächsten Wochen jeden Abend brav zu den Proben und sollte mit Geige und Gesang den Karnevalswettbewerb unterstützen, bzw. vielmehr die peruanischen Bräuche kennenlernen, diesmal als aktiv Teilnehmende. Ich hatte nicht die geringste Ahnung was auf mich zukommt bis zum Auftritt selbst und bin eigentlich kein großer Faschingsfan, aber die Herausforderung und die Folkloremusik haben mich gereizt.

Also wurde ich Teil der Karnevalsgruppe „Comparsa Collana la Portada“, einem Stadtviertel Tarmas, und lernte ihren interessanten Probenstil kennen. Nach der Arbeit ging ich meist direkt zu dem kleinen Hinterhof, wobei die Peruaner überwiegend erst nach einer Stunde eintrudelten. Dann gab es erstmal mindestens eine Runde Schnaps, Wein oder Calientito, selbstverständlich sollte dadurch nur die Kehle zum Singen aufgewärmt werden – sicherlich nicht so wohltuend für die Stimmbänder wie Einsingen, aber gegen die Kälte der Regenzeit hat es geholfen. Dann lief im Hintergrund immer eine CD mit den zwei Liedern für den Wettbewerb und die Frauen und Männer sangen geschlechtlich getrennt in Gruppen immer und immer wieder ihr andin folkloristisches Stück, für die Männer eine Muliza, die Frauen einen Huayno. Und so vergingen die Wochen, es tauchten immer mehr Gesichter auf, der Gesang wurde besser und sicherer und ich lernte Tag für Tag die liebenswürdigen Leute meines neuen „barrios“ (Stadtviertel alias hood) kennen. Trotzdem verzweifelte ich oft an den Proben. Einstimmig wurde immer das Gleiche geprobt, mit wenig Disziplin, viel Alkohol und auf die Choreographie wurde ich nicht vorbereitet. So kam plötzlich einige Tage vor dem Auftritt das Orchester, ich sollte mit einem anderen Geiger und einer Harfe dann ein wichtiges Solo übernehmen und konnte alles nur más o menos (mehr oder weniger) nach Gehör lernen. Ach, der Arbeitsstil der Peruaner bringt mich als Deutsche oft zum Kopfschütteln oder Schmunzeln, letztendlich klappt aber trotzdem fast alles und an Cariño fehlt es niemals! Dann gab es die nächste Aufregung, ein Kostüm musste her. Dabei hat mir netterweise eine Señora geholfen und wir haben gemeinsam bei einem Kostümverleih relativ kurzfristig noch ein elegantes venezianisches Kleid besorgt.

Nach viel Aufregung, Nervenkitzel und nach wie vor großer Planlosigkeit kam plötzlich der Tag des Auftritts heran. Am Samstag arbeitete ich also von morgens bis  spät nachmittags, trainierte mit den Kindern Fußball und machte eine riesige Wasserschlacht, um dann vollkommen gehetzt in mein Kostüm zu steigen und zum Treffpunkt loszulaufen. Ich werde poco a poco peruanisch in meinen Gepflogenheiten! Dort angekommen versammelten sich Paare in fantastischen, aufwändigen Kostümen und ein Pärchen war schöner gekleidet als das Andere. Ich wusste, wir würden im Kolosseum spielen, schließlich begannen wir aber schon, für mich sehr unerwartet, im großen Zug tanzend und spielend durch die dunklen Straßen dorthin zu ziehen – für mich ein völlig neues Erlebnis. Gemeinsam mit dem Orchester die typische Ankündigungsmusik spielend schritt ich also hinter den feierlich trippelnden Tänzern einher und um uns herum bildeten sich Menschentrauben. Eine Menge von Eindrücken: Noch nie bin ich Geige spielend durch die Straßen gelaufen, das auch noch verkleidet und die Menschen um uns herum machten Fotos und riefen uns laut zu.

Am Coliseo angekommen ging dann alles ganz schnell: Als Orchester liefen wir zuerst mit einer kleinen Choreografie in die festlich, bunt geschmückte Halle und hatten eine kleine Präsentation. Das Stück hatte ich allerdings zuvor noch nie gehört und musste dann im Moment des Auftritts nach Gehör improvisieren. Dann stellten wir uns an die Seite der Bühnenfläche zu unseren Mikrofonen und spielten die Eingangsmusik der Tänzer, die nun paarweise in die Halle tänzelten und ihre prachtvollen Kostüme präsentierten. Der Lärm in der runden Halle war unglaublich: Von ringsum schrien, pfiffen und applaudierten die Zuschauer, ich hörte mich selbst kaum spielen und wunderte mich, wie die anderen Musiker dabei so ruhig bleiben konnten. Nun wusste ich, warum die Lieder einfach und einstimmig waren, selbst das war in der Halle eine Herausforderung.

Schließlich kamen auch Don Calixto mit der Pimienta hineingetanzt, der wichtigste Teil der Gruppe: Don Calixto war einst ein reicher, alter Großgrundbesitzer Tarmas, der Jahr für Jahr an Karneval nach Tarma in seine Heimat reiste, um dort die schönsten Frauen lieben zu können – Alter oder Beziehungsstatus der jungen Mädchen spielten für ihn keine Rolle. Eines Tages hatten die Männer Tarmas genug und sie verkleideten sich bei der Ankunft Calixtos alle als aufreizende, attraktive Frauen, um ihn zu verführen. Dies gelang einem besonders gut und er schaffte es sogar bis ins Schlafgemach des Alten, wo Calixto durch einen großen Schreck an einem Herzinfarkt starb. Seitdem verkleidet sich jedes Jahr ein Mann als „Pimienta“ und verführt als hübsche, flirtende Señorita den „alten Don Calixto“. Diese Beiden stehen im Zentrum der Präsentation und ziehen viel Aufmerksamkeit und Gelächter auf sich durch ihr Schauspiel.

Schließlich ging es mit dem Gesang los: Die Männer begannen mit der feierlichen, schwermütigen Muliza, einem Loblied auf Tarma und den Karneval. Direkt im Anschluss spielte die Harfe mit uns zwei Geigen eine Überleitung, die mir alle Nerven kostete und es ging in den anmutigen, fröhlichen Huayno der Frauen über. Sobald der Gesang anfing, gesellte ich mich zu den Sängerinnen und stimmte ein in das Lied über innige, leidenschaftliche Liebe. Danach zogen wir unter Jubel und vereinzelten Buh-Rufen ebenso feierlich wieder aus der Halle und der erste Teil unseres Karnevals war geschafft. An diesem Abend belegten wir den dritten Platz bei der Gesamtpräsentation, bei Kostümen und mit Don Calixto gewannen wir. Nach unserem Auftritt schaute ich mit Johannes, Padre und Ely noch lange den anderen Gruppen zu und der unglaubliche Aufwand, die tollen Kostüme und Feinheiten der Choreographien beeindruckten mich zutiefst. Und wie ich selbst am eigenen Leibe erfahren musste, war ja alles bis auf den Gesang am selben Abend improvisiert!

Das noch fröhlichere Ereignis erwartete mich am Tag darauf: der Pasacalle – Straßenumzug. Nachdem ich am Tag zuvor vollkommen ins kalte Wasser geschmissen wurde, meinte ich diesmal, das Konzept verstanden zu haben und zog ziemlich entspannt mit meiner Geige los. Wir hatten großes Wetterglück und begannen so in der prallenden Sonne mit dem Umzug. Wie am Abend zuvor bildeten wir eine lange Schlange: Vorne voran Don Calixto mit der Pimienta beim Flirten, dann ein langer Zug von Tänzern und zuletzt wir, das spielende Orchester. So schritten wir zwei Stunden lang durch die Hauptstraße und spielten ohne Unterlass. Die Menschen machten Fotos, filmten begeistert und nachdem halb Tarma ein Foto mit mir machen wollte, fühlte ich mich wie eine verwechselte Berühmtheit. Eine Gringa ist eh nicht oft zu sehen hier, aber eine, die bei den tarmenischen Bräuchen mitmacht, ist wohl noch nicht vorgekommen. Ich hatte gehofft, man würde mich durch meine Maske nicht erkennen, aber die blonden Haare waren wohl verräterisch und nicht als Perücke getarnt. Nach einem langen Zug durch die Straße schon ziemlich erschöpft, gelangten wir schließlich zur Plaza de Armas und zogen vor das Rathaus, wo noch mehr Fernsehkameras, Mikros und Fotografen warteten. Dort präsentierten wir noch einmal unsere Gesänge, tanzten, versprühten Konfetti und gute Laune, wieder ein ganz anderes Erlebnis, unvergesslich!

Nun hatten wir auch das geschafft, viele Leute kamen auf uns zu und wollten Fotos mit unseren Kostümen und Instrumenten machen und so waren wir erstmal beschäftigt. Dann liefen wir als Gruppe zu einem kleinen Lokal und das Fest begann schon auf dem Weg dorthin. Noch einige Male sangen wir unsere Stücke auf der Straße, lachten und tauschten das gemeinsam Erlebte befreit aus, ich fand so einen neuen Draht zu den Menschen meines „neuen Barrios“. Im Lokal angekommen aßen wir gemeinsam, teilten etwas Bier und tanzten wild und stundenlang, besonders als wir erfuhren, dass wir den Wettbewerb des Umzuges gewonnen hatten! PORTADA, PORTADA, PORTADA! :D

 

Ich bin unglaublich dankbar für das Stück Kultur, das ich die letzten Tage mit so herzlichen Menschen hautnah erfahren durfte. Die Teilnahme, die Proben und die absolute Fremde von allem haben mich große Überwindung gekostet, letztendlich war es aber ein großes Geschenk: Die Comparseros von Collana la Portada haben mich so freundlich aufgenommen in ihre Karnevalsfamilie und haben mir die Chance gegeben, dieses farbenfrohe Fest aktiv mitzuerleben und mit ihnen zu feiern, zu tanzen und mitzufiebern an den beiden Wettbewerben. Que vivan los carnavales de Tarma, que viva la Collana la Portada!

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Kommentare: 2
  • #1

    Benfort (Donnerstag, 07 März 2019 00:23)

    Felicitaciones una bonita experiencia.

  • #2

    CPC Renée O. HUAMAN ROMANI (Donnerstag, 07 März 2019 15:36)

    Gracias Sonja por ser partícipe de nuestros carnavales. Alegraste con tu belleza y encanto las noches de muliza y carnaval. Los esperamos a todos los extranjeros para el carnaval del 2,020.