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Tarma, die Perle der Anden - Angekommen im Bergparadies

Nach zwei Monaten Warten im chaotischen Lima konnten wir am 30. Oktober endlich unsere Reise in die Anden antreten, wo uns die Arbeit im Kinderheim, unsere Pfarrhaus-WG und die schöne Stadt Tarma erwarteten.

Also verabschiedeten wir uns vom Schwesternkonvent in La Victoria, packten erneut unsere Koffer und stiegen aufgeregt und voller Vorfreude ins Auto. Schwester Beatriz und Percy, ein Freund von ihr, begleiteten uns nach Tarma, um uns alles zu zeigen und selbst einige Tage Urlaub zu nehmen. Am Anfang fuhren wir noch stundenlang durch das heiße, trockene und staubige Lima, bis sich die Landschaft schließlich vollkommen veränderte und wir auf kurvigen Bergstraßen in die grünen Anden aufbrachen. Sofort wurden die Dörfer kleiner und ursprünglicher, Schafherden und Esel standen neben der Straße und Mütter trugen ihre Babys in bunten Stofftüchern auf dem Rücken. Nach einigen Stunden erreichten wir schon den Ticlio-Pass auf 4800 Metern Höhe, eine lebensfeindliche Gegend mit viel Eis, Schnee, Nebel und rot-bräunlicher Ebene. Erstaunlicherweise haben wir dabei trotz der enormen Höhendifferenz noch keine Anzeichen des "soroche" (Höhenkrankheit) gespürt, dafür kam das flaue Magengefühl dann beim Herunterfahren. Da Tarma auf 3050m liegt, ging es also noch ein ganzes Stück bergab, durch überraschend grüne  Berglandschaften, kleine, verschlafene Andendörfer und vorbei an Blumen- und Gemüsefeldern. Während in Lima die Ausdehnung der Stadt einfach unglaublich war, hat mich hier die enorme Weite und Gewalt der Anden fasziniert - stundenlang könnte ich auf der Dachterrasse in der Sonne sitzen, nur die Berge auf mich wirken lassen und mich als Mensch so winzig klein und unbedeutend fühlen...

 

Angekommen in Tarma (nach etwa 7h Fahrt) haben wir schon gleich gesehen, was die Regenzeit hier bedeutet: Aus heiterem Himmel strömt plötzlich ein sintflutartiger Regen hinunter, die Straße verwandelt sich in einen Fluss und fünf Minuten später wirkt alles so, als wäre nichts gewesen. 

Schließlich bezogen wir in unserem neuen Zuhause bei Padre Juan Carlos unsere Zimmer, gingen Essen und lernten dann endlich unsere WG-Mitglieder kennen: Der Padre ist sehr offen für Gäste / deutsche Freiwillige, liebt Ausflüge, Singen und peruanisches Fernsehen mit einer Schüssel Masamora (verschimmelte, gekochte, Kartoffeln, die das ganze Haus durch den Duft erfreuen :D). Romina, die Haushälterin, putzt und kocht zwar nicht, kann einem aber sehr gut peruanische Tänze beibringen, ist immer fröhlich und erzählt uns sehr viel über das Leben hier.  Außerdem lebt hier für drei Monate noch Anna, eine andere deutsche Freiwillige, mit der wir uns sehr gut verstehen und hoffentlich einige Ausflüge machen können. Mit unserer WG machen wir nun ab und zu Ausflüge, kümmern uns um den Garten im Landhaus des Padres, singen in Karaoke-Bars und gehen Essen. 

In den ersten Tagen hier sind wir mit Schwester Beatriz viel durch die Gegend gefahren, haben die Landschaft genossen, mal wieder viel zu viel gegessen und einiges erlebt:

Am 31. Oktober wurde hier der "Señor de los Milagros" (Herr der Wunder) mit einer großen Prozession durch die Stadt gefeiert. Alle Geschäfte und Vereine der Stadt bereiten auf den Straßen stundenlang kunstvolle Blumenteppiche vor, welche Landschaften, Tiere, Logos und Schriftzüge zeigen. Dann tragen eigens ausgebildete Bruderschaften in einer langen Prozession mit Musik und Gebeten einen Blumenaltar mit dem berühmten Bildnis des Señor de los Milagros durch die Straßen, segnen die Teppiche und zerstören sie anschließend leider wieder, indem eine Menge an Leuten darüber trampelt. Tarma ist für diese einmaligen Prozessionen mit Blumen berühmt und es war eine ganz mystische Stimmung zu spüren durch all die Kirchenlieder und Gebete. 

Am Tag darauf wurde Allerheiligen "El día de todos los Santos" gefeiert, dem auch wieder viel Bedeutung beigemessen wird. In jedem Haus wurde ein Tisch für die verstorbenen Familienmitglieder gedeckt mit allen Speisen und Getränken, welche sie besonders gern gemocht haben. Nachts kommen dann scheinbar die Geister ins Haus und bedienen sich an den Speisen, am nächsten Tag dürfen die Lebenden essen. Außerdem gibt es typische Gebäcke (ähneln Lebkuchen), die wir mit den Kindern aus dem Heim in der Bäckerei der Klarissinnen-Schwestern gebacken haben. Alle Familien besuchen nachmittags die Gräber der Verstorbenen, weshalb sich der Friedhof bis zum nächsten Morgen in einen Festplatz verwandelt. Es gibt viel zu Essen, laute Musik und alle sitzen gemeinsam an den Gräbern, sind fröhlich und trinken Bier - ein ganz spannender Umgang mit dem Thema Tod, wie ich finde. 

 

Am zweiten Tag nach der Ankunft sind wir gleich in das Kinderheim gefahren, das etwas außerhalb gelegen ist und wo wir nun immer von Dienstag bis Sonntag arbeiten werden. Genaueres über die Organisation des Heims und die Geschichten der Kinder werde ich in der Rubrik "LA BENEFICENCIA" schreiben. Die Kinder sind alle unglaublich lieb, nehmen einen ganz offen auf und lassen sich auf alle Ideen ein. Wir spielen viel mit ihnen, helfen bei den Hausaufgaben, bringen ihnen Englisch bei und ich zeige zwei Kleinen das Lesen und Schreiben. So sind unsere Tage hier ziemlich ausgefüllt, oft machen wir mit den Kindern auch eine Wanderung und verbringen viele Stunden in der Natur, damit die Kinder gut ausgelastet sind. Die Arbeit macht wirklich Freude und ist erfüllend, oft beschäftigen mich aber auch die Familiensituationen der Kinder sehr, welche sich teils stark auf ihre Verhaltensmuster auswirkt. In einfachen Gesprächen mit den Kindern erfahre ich so fast zufällig, dass einige Mütter Alkoholikerinnen sind, die Kinder misshandelt oder extrem vernachlässigt haben. Dabei bedrückt es mich ziemlich, wenn ich die Kleinen sehe und weiß, dass ein gesundes Familienleben für sie nicht möglich ist, obwohl die Kinder so sehr ihre Eltern bräuchten... Teilweise fühl ich mich schon wie eine Mutter, wenn ich die kleinen Jungs ins Bett bringe, Gutenachtlieder singe und Zöpfe flechte, aber wir geben in diesem Jahr hier jetzt einfach unser Bestes, den Kindern möglichst viel Nähe, Zuneigung und schöne Momente zu schenken. Trotzdem stellen mich die Kinder immer wieder vor Herausforderungen, wenn sie zum Beispiel fragen, ob meine Eltern eigentlich auch schon gestorben sind, ob es in Deutschland Gewalt gibt oder mir einfach ihre Pläne erzählen, wie sie am liebsten Weihnachten mit ihrer Familie feiern würden. Dabei fällt mir oft besonders auf, wie "selbstverständlich" oder natürlich für mich viele Dinge im Leben sind: Familiärer Rückhalt, Erziehung, Familienfeiern, elterliche Strenge beim Erledigen von Hausaufgaben, viele Freiheiten als Jugendliche... Lauter einfache Dinge, die im Heim oft untergehen, weil sich die Erzieherin (Mamita) um 11 Kinder kümmern muss. So vergessen die Jungs oft, sich ihre Zähne zu putzen oder machen keine Hausaufgaben, was ich inzwischen immer akribisch verfolge :D Dafür passen viele Kinder auch sehr gut aufeinander auf, es gibt zwar immer wieder kleine Streitereien, aber  dann kümmert sich ein 9-Jähriger liebevoll wie ein besorgter Papa um das Baby und ein krankes Mädchen...

Über meinen genauen Arbeitsalltag werde ich bald aber genaueres schreiben! Bis jetzt macht es auf jeden Fall große Freude, wir können uns gut einbringen und bauen schon enge Bindungen zu den Kindern auf.

 

Am Montag, unserem einzigen freien Tag, macht der Padre nun oft mit uns Ausflüge. Diese bestehen vor allem aus langen Autofahrten (zu viert auf dem Rücksitz kann das ganz schön anstrengend werden) durch die schöne Berglandschaft, einem Mittagessen an einem besonderen Ort und unvorstellbar vielen Selfies. Meinem Geschmack entspricht das zwar nicht, aber es gibt viel zu lachen, wenn wir in den unterschiedlichsten Posen und Konstellationen die Fotospeicher der Handys füllen und der Padre immer neue Ideen hat. Die beiden Ausflüge haben uns bisher nach Jauja und Huancayo geführt: In Jauja konnten wir mit einem Boot auf der Laguna de Paca schipperm, die durch ihr Schilf Ähnlichkeiten mit dem Titicacasee hat und in Huancayo sind wir durch den Parque de la identidad spaziert, der tolle Figuren und Gebilde im Hundertwasserstil zu bieten hat. Ob das die sechs Stunden haarsträubende Fahrt und einen geplatzten Reifen wert war, ist fraglich, aber insgesamt war der Tag doch schön.

Also ganz liebe Grüße nach Deutschland und an alle, die das lesen! Vielen Dank fürs Mitverfolgen des Blogs!

In den nächsten Tagen berichte ich ausführlicher über meine Arbeit und meinen Alltag hier.

Hasta luego y un abrazo!

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