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Ausflüge und Erlebnisse mit den Schwestern in Lima

Die tollsten und ursprünglichsten Erlebnisse sind hier immer die spontanen, wenn die Schwestern plötzlich zu uns kommen und verkünden: „Chicos, beeilt euch, wir fahren in fünf Minuten“. Meistens erfahren wir erst danach, wo wir hinfahren und sind jedes Mal aufs Neue überrascht!

Ziemlich am Anfang unserer Zeit hier hörten wir ein Chorkonzert verschiedener kirchlicher Jugendchöre, das echt abwechslungsreich und lustig war! Zwei sehr lebensfrohe Novizinnen, Carla und Carina, animierten uns zum Tanzen und drückten uns Banner ihres Chors in die Hand, den wir dann gleich anfeuern mussten – das ganze Konzert war eine einzige Party. Alle haben laut mitgesungen, auf Französisch, Spanisch, Quechua und Aymara, getanzt, heiße Schokolade getrunken und auf das Highlight des Abends gewartet: Einige Franziskusbrüder haben einen Chor gegründet und drei Lieder aufgeführt, die Leute haben gepfiffen, gefilmt und Zugaben verlangt! Anfangs musste ich dauernd lachen, diese Art von Konzert in einer Kirche habe ich noch nie erlebt, aber der Abend hat viel Freude gemacht und die Energie und Lockerheit war einfach ansteckend!

 

An einem anderen Tag stiegen wir morgens wieder mit einigen Schwestern nichtsahnend in ein Taxi, es sollte wohl in eine andere Kirche gehen zum morgendlichen Gottesdienst. Dann wurden wir aber Teil einer großen Schuljubiläumsfeier von Santa Anita, die von den Schwestern geleitet wird, mit groß zelebriertem Gottesdienst, einer Prozession mit tänzelnden Marienstatuen und der Einweihung einer Mariengrotte. Die Schule ist riesig und hat auf dem Pausenhof einen Fußballplatz mit grasenden Schafen, Alpakas und viele Ställe mit Pferden, Kühen und allen möglichen Tieren, die man so nicht auf einem Schulhof erwartet. Später haben wir noch mit den Schwestern Reis mit Hühnchen (was für eine Überraschung😉) gegessen, über Schulgeschichten der beiden Lehrerinnen gelacht und wurden über die Tänze und die Musikstile Perus aufgeklärt.

 

Nur zwei Tage später hat dann die Fröhlichkeit ausgesetzt, eine krebskranke Schwester im Alter von 56 Jahren ist gestorben und wurde nach einer Nacht Totenwache beerdigt. Gefolgt sind einige schwierige und sehr bewegende Tage, es war schlimm, die Schwestern, die uns inzwischen sehr ans Herz gewachsen sind, so trauern zu sehen, und gleichzeitig konnten wir wenig mithelfen und uns nützlich machen… Am meisten verwirrt haben mich die Kontraste: Die Beerdigung und der Gottesdienst waren wirklich traurig und aufwühlend, die Busfahrten zum Friedhof dagegen voller Fröhlichkeit mit Gesang und Gelächter, da einige Schwestern die Verstorbene kaum kannten.

 

Am 8. Oktober wird in Peru der Tag des Nationalhelden Miguel Grau gefeiert, wir mussten also nicht arbeiten und durften stattdessen auf den Schwesternausflug mitfahren. Nachdem morgens in der Küche schon früh gewerkelt wurde und die Schwestern alles für das Picknick vorbereiteten, haben wir den Bus mit ganzen Eimern und Fässern von Kaffee und Quinoa-Getränken beladen und sind schließlich losgefahren mit Gesang und guter Laune. Wir fuhren noch mehrere Stunden auf der Panamericana durch Lima, durch enorm arme Gegenden und vorbei an Favela-Hügeln und die Stadt schien kein Ende zu nehmen. Irgendwann sind wir eine große Sanddüne herauf gefahren, haben Lima hinter uns gelassen und waren kurz nach der Metropole schon in einer Sandwüste, vollkommen verrückt! Und damit an Naturspektakel nicht genug, sind wir nach insgesamt drei Stunden Fahrt an unserem Ziel angelangt: dem Nationalpark „Lomas de Lachay“ – eine wunderschöne Berglandschaft mit Blumen, mystischen Bäumen und allerlei fremdartigen Gewächsen in kräftigen Farben. Nach einem provisorischen, lustigen Frühstück im Bus sind wir dann losgewandert. Ich musste mich echt an das langsame Tempo gewöhnen, vor Freude über die tolle Landschaft wär ich am liebsten gleich auf die nächsten Gipfel gestürmt, aber die Schwestern lieben Selfies und Fotosessions, weshalb wir keine 10 Meter gegangen sind, ohne nicht mindestens 3 Fotos mit vier Handys und lauter grinsenden Nonnen gemacht zu haben. So hat die Art des Spaziergangs keinerlei Ähnlichkeiten mit meinen üblichen Bergtouren gehabt, aber die Hermanas haben mich durch ihre Freude und Späße dauernd zum Lachen gebracht und die unglaubliche Natur hat mich einfach ins Staunen versetzt! Nach der kleinen Wanderung sind wir wieder in unseren Bus gestiegen und singend durch die Wüste in die kleine Küstenstadt Chancay gefahren, wo wir eine kleine Burg am Meer besichtigten. Dort waren zwei kleine Museen mit präkolumbianischer Töpferkunst (wunderschön!) und lauter kitschige Themenpark-Attraktionen, die Peruaner haben es geliebt! Schließlich konnten wir noch den Sonnenuntergang (hier schon um 18 Uhr wegen der Äquatornähe) über dem Meer sehen und sind dann wieder zurück nach Lima gefahren, dessen Anblick bei Nacht an ein wunderschönes Lichtermeer erinnert. Der Tag war einfach ein Erlebnis: beeindruckend verschiedene Landschaften auf so engen Raum, die Ausgelassenheit und Freude der Schwestern und wir durften daran teilhaben!

 

Unsere Samstagsausflüge

Da wir unter der Woche immer arbeiten und es abends bei Dunkelheit nicht empfehlenswert ist, als Gringo allein durch die Stadt zu streifen, nutzen wir immer die freien Samstage, um Reißaus zu nehmen und die Stadt kennenzulernen. Mit Kleinbussen (Mikros) geht es sehr abenteuerlich und günstig direkt von der Haustür ins Zentrum und von dort aus kann man mit verschiedenen Bussen weitere Stadtviertel erreichen. Die Hilfsbereitschaft der Peruaner ist groß und sie erklären uns oft den Weg! Die Mikrofahrten sind immer schon ein Erlebnis für sich: Es gibt weder Busfahrplan noch Haltestellen, also winkt man dem Busfahrer einfach vom Straßenrand zu und hüpft schnell durch die stets offene Tür. Dort lehnt immer ein Ayudante (Helfer), der laut brüllend mit einem Schild die Leute für die Fahrt anwirbt. Meistens funktioniert die Taktik und vor lauter Menschen wird es unangenehm eng im Bus. Interessant wird es dann beim Aussteigen: An einer beliebigen Straße ruft man einfach bajan por favor und dann wird man schon zur Tür herausgedrängt. 

 

Bei unseren Ausflügen haben wir schon gemerkt, wie vielseitig und kontrastreich Lima ist: Es gibt eine Vielzahl an wunderschönen kolonialen Gebäuden und historischen Stätten, moderne Einkaufsstraßen, Hippieviertel, mit Palmen gesäumte Küstenpromenaden, Parkanlagen und an der nächsten Straßenecke genauso ausgeprägt Armut, Elend und Kriminalität. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen abgeriegelten, schicken Wohnanlagen und Favelas sind selten auf so dichtem Raum zu sehen und geben mir sehr zu Denken. Bettler habe ich noch nicht so viele gesehen, stattdessen gibt es überall auf der Straße Schuhputzer, Musiker, Essensverkäufer und Menschen, die einem für einige Soles ihre Waage zur Verfügung stellen („Erfahren Sie heute ihr wirkliches Körpergewicht!“) – erfinderisch sind sie, die Limeños! 

 

Limas historisches Zentrum hat an Kultur, toller Architektur und gutem Essen einiges zu bieten! Rund um die Plaza Mayor befindet sich eine beeindruckende Kathedrale mit Pizarros Grab (spanischer Eroberer Perus), der Präsidentenpalast und das Rathaus, auf diesem Platz ist immer etwas los und es macht Freude, einfach auf den Stufen der Kathedrale zu sitzen und das Treiben zu beobachten. Außerdem gibt es zwei faszinierende Klöster (Dominikaner und Franziskaner) mit beeindruckenden Bibliotheken, Kreuzgängen, grusligen Katakomben und vielen Geschichten! Auf einem Kirchturm kann man seinen Blick über die Hügel und Distrikte Limas schleifen lassen und hat trotz der Fernsicht das Gefühl, diese Stadt nimmt niemals ein Ende! Die Tage im Zentrum haben wir genossen, indem wir uns durch die Nationalküche probiert haben (ein Fischmenü mit peruanischem Bier, köstlich!), unzählige Kirchen und Museen mit präkolumbianischer Kunst besichtigt haben und fotografierend durch die Gassen geschlendert sind. 

 

Da Lima ja an der Küste des Pazifiks liegt, wollten wir uns auch einen Ausflug an die lange Strandpromenade nicht entgehen lassen und sind kurzerhand in die Stadtviertel Miraflores und Barranco gefahren. Bevor wir erstmals an den Pazifik gelangt sind, haben wir uns durch das sehr schicke und touristische Miraflores treiben lassen und plötzlich – inmitten von Hochhäusern und Dachterrassen – sind wir auf eine riesige Ausgrabungsstätte gestoßen. Ich hatte im Reiseführer schon etwas über Huaca Pucllana gelesen, aber eine derartig gewaltige und gut erhaltene Lehmpyramide hatte ich definitiv nicht erwartet. Also haben wir uns einer spanischen Führung angeschlossen und staunend gehört und gesehen, wie fortschrittlich und mächtig die Kultur der präkolumbianischen Limeños war, die sogar noch vor den Incas gelebt haben. Danach sind wir in unserem üblichen Stechschritt zum Malecón (Küstenpromenade) gegangen und hatten erstmals den Pazifik direkt vor uns liegen, ein tolles Gefühl! Anders als beim Mittelmeer oder beim Atlantik meinte ich, die enorme Weite spüren zu können, die Wellen waren riesig und zwischen der Millionenstadt und dem Ozean fühlte ich mich winzig… Die nächsten Stunden spazierten wir die herrliche Promenade mit Palmen und verschiedenen Parks entlang und genossen die Aussicht. Im Meer waren eine Menge Surfer, die Limeños haben fleißig gesportelt, die Kinder gespielt, einige Hippies ihren Schmuck verkauft und im Parque de Amor saßen zwischen mosaikbesetzten und hübsch verzierten Mauern Pärchen: Da wir die letzten Wochen im schmutzigen La Victoria verbracht haben, wo die Armut der Menschen deutlich zu spüren ist, war diese Urlaubswelt plötzlich irreal und ich konnte kaum glauben, dass ich am gleichen Abend wieder zurück im lauten Chaos sein würde! Von Miraflores aus gingen wir dann noch weiter nach Barranco, ein beeindruckendes Künstlerviertel! Überall sind trendige, alternative Bars, Musik, Streetart, offene Galerien, Schmuckstände zu sehen und der Spirit der Hippies ist definitiv zu spüren! Nach einem köstlichen Ceviche (Nationalgericht mit rohem Fisch) und einem starken Pisco Sour (peruanischer Cocktail) haben wir uns voller Eindrücke und mit platschnassen Hosen (die Wellen haben uns überrascht) auf den Rückweg gemacht. Ich habe den „normalen Touritag“ als Abwechslung zum Alltag genossen, aber als ich abends wieder in die Realität von La Victoria geworfen wurde, war ich dankbar, das Leben abseits der Touristenpfade und des „schönen Limas“ auch kennenzulernen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Marc (Dienstag, 23 Oktober 2018 08:35)

    Liebe Sonja, vielen Dank für die so lebendige Schilderung Deiner Reiseerlebnisse. Obwohl wir Dich unglaublich vermissen, können wir doch so an Deinen Erlebnissen teilhaben und mit Dir all die unglaublich fremdartigen Eindrücke fast hautnah miterleben ;-)
    Wir fiebern Deiner Abreise nach Tarma entgegen! Liebe Grüße!!!!